In unserer heutigen Zeit ist vielen Katholiken, Laien und Klerikern, nicht bewußt, wie wichtig die Vollständigkeit und Ganzheit der katholischen Lehre ist.
Wir haben uns daran gewöhnt, daß aus Rom und von den Kanzeln -- die heute ja eher Lesepulte o. ä. sind -- Dinge behauptet werden, die nicht mit der katholischen Lehre übereinstimmen.
Und auch das oberste Lehramt in der Domus Sanctae Marthae verwirrt mehr, als die Gläubigen zu stärken.
Ein schönes Beispiel, wie die Kirche früher selbst bei kleineren "Unschärfen" oder problematischen päpstlichen Aussagen zum katholischen Glauben reagierte, ist die Frage nach der seligen Anschauung Gottes der Verstorbenen bei Papst Johannes XXII. (1316-1334).
Zu der Geschichte gibt es eine amüsante Erwähnung im Roman "Der Name der Rose" von Umberto Eco.
Hier die Stelle:
»]a, das ist in der Tat eine finstere und fast unglaubliche Geschichte«, sagte der Angesprochene düster. »Es scheint, daß Johannes zu behaupten vorhat, die Gerechten würden erst nach dem Jüngsten Gericht das Antlitz Gottes schauen! Schon seit einiger Zeit meditiert er über den neunten Vers im sechsten Kapitel der Apokalypse, wo von der Öffnung des fünften Siegels die Rede ist und wo der Apostel sagt: 'Ich sah unter dem Altar die Seelen derer, die erwürgt waren um des Wortes Gottes willen und um des Zeugnisses willen, das sie gegeben hatten. Und sie schrien mit großer Stimme und sprachen: Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rächest unser Blut an denen die auf der Erde wohnen?' Und da der Apostel fortfährt: 'Und ihnen wurde gegeben einem jeglichen ein weißes Kleid, und ward zu ihnen gesagt, daß sie sich gedulden sollten noch eine kleine Zeit, bis daß vollends dazukämen ihre Mitknechte und Brüder' und so weiter, meint nun der Papst, das sei dahingehend zu deuten, daß sie erst nach Vollendung des Letzten Gerichts die Herrlichkeit Gottes schauen würden ... «
»Zu wem hat er das gesagt?« fragte Michael voller Bestürzung.
»Bisher nur zu wenigen engen Vertrauten, aber die Sache hat sich herumgesprochen. Es heißt, er bereite eine Erklärung vor, nicht für heute und morgen, es dauert vielleicht noch ein paar Jahre, doch er berät sich mit seinen Theologen ... «
»Hm, hm!« grunzte Hieronymus kauend.
»Aber damit nicht genug, er will anscheinend noch weiter gehen und sogar behaupten, daß auch die Hölle erst am Jüngsten Tage geöffnet werde, nicht einmal die Teufel kämen vorher hinein ... «
»Herr Jesus, steh uns bei!« rief Hieronymus voller Entsetzen. »Und was sollen wir dann den Sündern erzählen, wenn wir ihnen nicht mehr damit drohen können, daß sie gleich nach dem Tod in die Hölle kommen?«
»Wir sind in den Händen eines Irren«, stellte Ubertin fest. »Aber ich verstehe nicht recht, warum er das alles behaupten will ... «
»Die ganze Ablaßlehre bricht zusammen«, lamentierte Hieronymus. »Auch er selbst wird keinen Sündenablaß mehr verkaufen können! Denn wieso sollte ein Priester, der Schamlosigkeiten begangen hat, so viele Goldpfunde zahlen, um einer Strafe zu entgehen, die noch so fern ist?!«
»So fern nun auch wieder nicht«, widersprach Ubertin. »Die Zeiten sind nahe!«
»Das weißt vielleicht du, lieber Bruder, aber die Laien wissen es nicht, da liegt doch das Problem!« erregte sich der Bischof von Kaffa, und es sah gar nicht mehr aus, als ob er sein Mahl noch genieße. » Was für eine unselige Idee! Das kommt bestimmt von diesen Predigerbrüdern ... oh, oh!« Er jammerte laut unter heftigem Schütteln des Kopfes.
»Aber warum, aus welchem Grund will der Papst diese Dinge behaupten?« fragte nun auch Michael von Cesena.
»Ich glaube, es gibt dafür keinen vernünftigen Grund«, antwortete William. »Das Ganze ist eher wohl eine Machtprobe, die er sich selbst auferlegt, ein Akt seines Stolzes: Er will tatsächlich derjenige sein, der über Himmel und Erde entscheidet! Ich wußte bereits von diesen Gerüchten, William von Ockham hatte sie mir geschrieben. Aber warten wir ab, wer sich am Ende durchsetzen wird: der Papst oder die Theologen, die Stimme der ganzen Kirche, die Wünsche des christlichen Volkes, die Bischöfe ... «
Umberto Eco, wahrscheinlich der umfassend gebildetste Mensch seiner Zeit, war kein Freund der katholischen Religion.
Das wird ja auch in dem Ausschnitt deutlich, in dem die abweichende Position von Johannes XXII. nur deswegen kritisiert wird, weil man sonst den Sündern nicht mehr mit der Hölle drohen könnte und der Ablaßhandel zusammenbrechen würde.
Diese Erklärung ist natürlich hanebüchener Unsinn.
Trotzdem ist der Roman sehr empfehlenswert (das Buch, nicht die Filme!). Vordergründig geht es um einen Kriminalfall in einem Kloster. Im Hintergrund spielen aber die kirchengeschichtlichen und philosophischen Fragen der Zeit (Stichwort: Nominalismus) die Hauptrolle.
Worum ging es bei dem Streit zu Beginn des 14. Jahrhunderts?
In dieser schwierigen Zeit (Barbara Tuchmann, Der ferne Spiegel. Das dramatische 14. Jahrhundert, nennt sie "... eine gewalttätige, gequälte, verwirrte, leidende und zerfallende Zeit" -- ihre Monographie ist sehr lesenswert!), die neben der Pest, dem Beginn des 100-jährigen Kriegs und dem Wegzug der Päpste nach Avignon zugleich "La divina commedia" Dantes, Boccaccios "Dekamerone" und die Werke Giottos hervorbrachte, regierte Papst Johannes XXII. in Avignon. Seine schroffe Haltung im Armutsstreit hatte weite Teile der Kleriker und Laien aufgebracht. Auch das Kardinalskollegium hatte er sich zum Feind gemacht, das ernstlich überlegte, ein Konzil zur Abberufung des Papstes einzuberufen (die Frage des sog. Konziliarismus spielte dann 100 Jahre später eine entscheidende Rolle).
Johannes XXII. erregte gegen Ende seines Lebens 1331/1332 erneut Anstoß, als er in Predigten behauptete, daß die Seelen der Gerechten nicht sofort nach dem irdischen Tod, sondern erst zum Jüngsten Tage der vollen Anschauung Gottes teilhaftig werden. Er äußerte seine abweichende theologische Meinung in zwei Predigten. In einer dritten Predigt behauptete er sogar, daß auch die Dämonen und die verworfenen Menschen erst nach dem allgemeinen Gericht am Jüngsten Tag ihre ewige Höllenstrafe antreten würden.
Hierauf gab es einen großen Widerstand der Kleriker und Theologen. Es gab etliche Gutachten gegen die päpstliche Meinung. Die französische Regierung nahm 1333 eindeutig Stellung gegen den Papst und wollte ihn der Ketzerei anklagen (Avignon liegt ja im Machtbereich des französischen Königs). Daraufhin berief auch der Papst eine Kommission von Kardinälen und Theologen, um die Frage zu klären. Er erklärte, seine Meinung widerrufen zu wollen, wenn sie der allgemeinen Lehre der Kirche entgegenstehe. Das geschah dann tatsächlich einen Tag vor seinem Tod. Er widerrief in Gegenwart des Kardinalskollegiums feierlich seine Auffassung. Der Widerruf wurde dann von seinem Nachfolger Benedikt XII. als Bulle veröffentlicht ("Ne super his", DH 990), der dann 1336 eine Konstitution zu demselben Thema veröffentlichte ("Benedictus Deus", DH 1000).
Was lernen wir aus dem kurzen Ausflug in die Kirchengeschichte?
Die Frage nach der "visio beatifica" bzw. nach dem Zeitpunkt, ab wann die Verworfenen bestraft werden, mag eine untergeordnete dogmatische Bedeutung haben.
Interessant ist hier zu sehen, wie damals die Kirche auf eine päpstliche Meinung reagierte, die zwar als Predigt geäußert, jedoch keine feierliche lehramtliche Erklärung seitens des Papstes darstellte.
Die Kirche reagierte allergisch!
Denn keine Aussage eines Papstes darf der katholischen Lehre widersprechen.
In der Geschichte gab es Päpste, die theologisch unsauber oder ausweichend schrieben.
Aber die katholische Lehre ist aus einem Guß und duldet keine Widersprüche, weder im ordentlichen, noch im außerordentlichen Lehramt.
Und Johannes XXII., zu seiner Zeit eher Politiker als Theologie, unterwarf sich der Lehre der Kirche ...
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